Antrag: Für ein gutes Zusammenleben von Menschen, Weidetieren und Wölfen: Ein effektives Wolfsmanagement umsetzen

Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90 Die Grünen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Wolf ist wieder heimisch geworden und wird bleiben. Damit sind auch für die Weidetierhaltung enorme Herausforderungen verbunden.

Gemeinsam mit allen Verbänden und Organisationen führt die Landesregierung einen intensiven Dialog „Weidetierhaltung und Wolf“, um das Wolfsmanagement und den Herdenschutz weiter zu verbessern. Die Anwendung von angemessenen Herdenschutzmaßnahmen sind ausschlaggebend für eine Minimierung der Konflikte von Weidetierhaltung und Wolf.

Dazu werden bereits jetzt umfassende Finanzmittel bereitgestellt. Niedersachsen setzt sich gegenüber dem Bund für die Entwicklung eines europarechtskonformen, regionaldifferenzierten Bestandsmanagements und einen schnelleren Abschuss von sogenannten Problemwölfen ein. Das von der Umweltministerkonferenz im Dezember 2023 mit Zustimmung der EU-Kommission einstimmig beschlossene und von Niedersachsen erstmals angewandte Schnellabschussverfahren wurde vom OVG Lüneburg am 12.4.2024 grundsätzlich bestätigt, aber im konkreten Einzelfall formell und materiell beanstandet. Für eine rechtssichere Anwendung aufgrund des OVG-Urteils wurde der Praxisleitfaden im August 2024 einstimmig von der Umweltministerkonferenz überarbeitet.

Hierbei wurde auch festgestellt, dass hinsichtlich der aktuellen Rechtslage und der Anwendbarkeit des sogenannten „Schnellabschussverfahrens“ auch durch eine mögliche Änderung des BNatSchG keine weiteren Erleichterungen erreicht werden könnten; die bundesrechtlichen Spielräume sind bis zu einer Änderung des Schutzstatus auf Unionsebene ausgeschöpft.

Gleichzeitig arbeitet das niedersächsische Umweltministerium an einer rechtssicheren Begründung kommender Schnellabschussgenehmigungen. Zudem liegen nunmehr umfassende Ergebnisse einer Bund-Länder Arbeitsgruppe zu Referenzwerten für die Bewertung des Erhaltungszustandes für den Wolf vor. Die Umweltministerkonferenz hat mit Ausnahme des Freistaats Bayern den Bericht der Arbeitsgruppe zustimmend zur Kenntnis genommen.

Niedersachsen erwartet, dass diese Erkenntnisse zur Beurteilung des günstigen Erhaltungszustands in die Entscheidungen der EU und der Bundesregierung zur Berner Konvention und Überprüfung des Schutzstatus des Wolfes in der FFH-Richtlinie berücksichtigt werden.

Es ist festzustellen, dass gemäß der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) für die biogeographische „atlantische“ Region die Mitgliedstaaten Deutschland, Dänemark, Niederlande, Belgien, Luxemburg sowie große Teile Frankreichs, die zu dieser zählen, verpflichtet sind, bei der nächsten Überprüfung im Jahr 2025 gemeinsam mit der Europäischen Kommission den Erhaltungszustand des Wolfs auf wissenschaftlicher Grundlage zu bewerten.

Das Vorschlagsrecht für etwaige Änderungen der FFH-Richtlinie liegt ausschließlich bei der Europäischen Kommission und für eine Änderung der Richtlinie ist ein einstimmiger Beschluss aller Mitgliedstaaten erforderlich.

Niedersachsen setzt sich auch auf EU- und Bundesebene dafür ein, dass auf der gemeinsam von Bund und Ländern erarbeiteten wissenschaftlichen Grundlage, der Schutzstatus des Wolfes, in den biogeographischen Regionen, wo ein guter Erhaltungszustand erreicht ist, neu bewertet wird.

Ein erster Schritt für eine neue Bewertung des Schutzstatus ist durch den Beschluss des Wettbewerbsrats der EU einen Antrag bei dem Ständigen Ausschuss der Berner Konvention zur Umlistung des Wolfs von Anhang 2 (streng geschützt) in Anhang 3 (geschützt) der Berner Konvention einzubringen, bereits erfolgt. Sollte der Antrag der EU in der Berner Konvention im Dezember 2024 erfolgreich sein, wird die EU-Kommission aller Voraussicht nach 2025 ein Verfahren zur Änderung der FFH-Richtlinie einleiten. Auf Grundlage des Ergebnisses dieses Verfahren können, soweit notwendig, dann ggf. nationale Gesetze und Rechtsgrundlagen angepasst werden, um in Deutschland, in den Regionen, in denen ein günstiger Erhaltungszustand festgestellt wurde, ein regional differenziertes Bestandsmanagement auf den Weg zu bringen. Niedersachsen setzt sich dafür ein, dass auf Bundesebene hierzu die nötigen Vorbereitungen getroffen werden, um nach der Anpassung des EU-Rechts handlungsfähig zu sein.

Der Landtag begrüßt.

  1. dass die Landesregierung an der Erarbeitung eines regional differenzierten Bestandsmanagements mitwirkt,
  2. dass die Landesregierung alle Säulen eines zukunftsfähigen Wolfsmanagements angemessen finanziell und personell ausstattet und weiter bedarfsgerecht professionalisieren wird, um auch bei weiter steigendem Wolfsbestand handlungsfähig zu bleiben und Konflikte zu minimieren,
  3. dass es der Landesregierung gelungen ist, im intensiven Dialog mit dem Bund und den anderen Bundesländern einen UMK-Beschluss für ein Schnellabschuss-Verfahren zur Entnahme von sogenannten „Problemwölfen“ auf den Weg zu bringen,
  4. dass die Landesregierung als erstes Bundesland zusätzlich zum bisherigen Entnahmeverfahren eine Ausnahmegenehmigung zur Entnahme für 21 Tage, 1.000 Meter um die Weide ohne langwierige DNA-Feststellung erteilt hat,
  5. dass die Landesregierung unter Berücksichtigung der gerichtlichen Beschlüsse, Urteile und Begründungen fortlaufend an der Rechtssicherheit des Schnellabschussverfahrens arbeitet und dieses weiter gemeinsam mit den Landkreisen anwenden wird,
  6. dass mit den Ergebnissen der Arbeitsgruppe zu den Referenzwerten nun Monitoringstandards und eine wissenschaftlich fundierte Methode zur Ableitung der Referenzwerte entwickelt wurde, zu dessen stetiger Weiterentwicklung und Nutzung bezüglich zukünftiger Berichterstattung an die EU-Kommission sich 15 Bundesländer und der Bund verpflichtet haben,
  7. dass die Landesregierung gemeinsam mit 14 weiteren Bundesländern den Bund aufgefordert hat, die Ergebnisse der Bund-Länder Arbeitsgruppe zu den Referenzwerten für das weitere Vorgehen im Hinblick auf den nächsten FFH-Bericht für die Tierart Wolf zugrunde zu legen, um eine verbindliche Beurteilung zum günstigen Erhaltungszustande in der biogeographischen „atlantischen“ Region auf europäischer Ebene mit Nachdruck vorzubereiten,
  8. dass die Landesregierung die aktuellen Zahlen zu Nutztierrissen und der Wolfspopulation in Zusammenarbeit mit NLWKN und Landesjägerschaft im Internet transparent veröffentlicht und mit eigenen Studien wie der modellbasierten Populationsstudie und Meldungen zur Population an Bund und EU dazu beiträgt, dass eine umfassende wissenschaftliche Grundlage zur Bewertung des Erhaltungszustandes geschaffen wird,
  9. dass sich die Landesregierung bei der Überarbeitung des „Praxisleitfaden Wolf“ für praxisnahe und umsetzbare Anforderungen an einen Herdenschutz differenziert für unterschiedliche Tierarten und Habitate (z. B. Deich, Heide) eingesetzt hat und dies bei weiteren Fortschreibungen weiterhin tun wird sowie
  10. die von der Landesregierung vorgenommene Erleichterung hinsichtlich der Gewährung von Billigkeitsleistungen auch in Fällen, in denen der Grundschutz durch den Wolfsangriff oder andere nicht vom Tierhalter verursachte Gründe beeinträchtigt wurde.

Daneben stellt der Landtag fest, dass die aktuelle Wolfspopulation in Niedersachsen, derzeit auf Grundlage der von der Bund-Länder Arbeitsgruppe erarbeiteten Referenzwerten, einem günstigen Erhaltungszustand für die biogeographische „atlantische“ Region (- und damit für ein Großteil der Landesfläche -) entspricht. 

Der Landtag bittet die Landesregierung sich auf Bundesebene dafür einzusetzen,

  1. dass im Dialog mit der EU, unbürokratische Lösungen für die Einführung eines regional differenzierten Bestandsmanagements und eine rechtssichere Entnahme getroffen werden, insbesondere in Regionen mit erhöhtem Rissvorkommen,

Ferner bittet der Landtag die Landesregierung,

  1. unter Berücksichtigung des OVG-Urteils zum Schnellabschussverfahren, das Verfahren zum Abschuss von Problemwölfen entsprechend des UMK-Beschlusses vom 01.12.2023 konsequent im Einzelfall zur Anwendung zu bringen, die zuständigen Landkreise bei der Umsetzung zu unterstützen und dabei
    • regionale Besonderheiten bspw. der Schafshaltung auf Deichen und in anderen Gebieten, in denen die „klassischen“ Herdenschutzmaßnahmen unter tatsächlich, technisch oder wirtschaftlich unzumutbaren Aufwand oder aufgrund von rechtlichen Vorgaben beispielsweise zum Hochwasserschutz nicht umsetzbar sind, wie beispielsweise in Überschwemmungsgebieten, an Steilhängen und Bachläufen umfassend zu berücksichtigen,
    • den Schutz der dann entnehmenden Personen und die störungsfreie Durchführung der Entnahme soweit wie möglich durch Anonymisierung der Daten gemeinsam mit den Landkreisen zu gewährleisten,
    • die rechtssichere und schnelle Anwendbarkeit des Verfahrens durch die Landkreise mit Hinweisen zu geografischen Regelungen, Zuständigkeiten, zeitlichen Abfolgen und sachlichen Voraussetzungen zu unterstützen,
    • bereits vor einer möglichen Anpassung der FFH-Richtlinie zu prüfen, inwiefern diese die Anwendung des „Schnellabschussverfahrens“ zur Entnahme in Gebieten mit außerordentlich hohen Rissvorkommen erleichtert,
  2. Maßnahmen zu ergreifen, die eine zuverlässige Meldung von Nutztierrissen durch die Tierhaltenden unterstützt und hierbei auch das Verhältnis von Tier- und Herdenschutz transparent darzustellen,
  3. die Umsetzung des vereinfachten Verfahrens zum Abschuss von Problemwölfen insbesondere mit den Nachbarbundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen weiter eng abzustimmen,
  4. die aktuellen Regelungen zur Übernahme von Tierarztkosten bei Nutztierrissen zu überprüfen, um ein Schlachten verletzter Tiere aus wirtschaftlichen Gründen zu vermeiden,
  5. den Wolfsdialog fortzuführen und die Herdenschutzmaßnahmen stetig gemeinsam mit den Betroffenen weiterzuentwickeln,
  6. die Förderung für Herdenschutzmaßnahmen für Schafe und Ziegen durch die vom Schafhalterverband vorgeschlagene einfache und unbürokratische Herdenschutzprämie pro Tier zu ersetzen, die auch die durchschnittlichen Kosten für die Unterhaltung, Ersatz- und Neubeschaffung von Zäunen und Herdenschutzhunden umfasst. Dabei sollte die für den Küsten- und Hochwasserschutz besonders wichtige Schafhaltung auf Deichen durch einen höheren Zuschlag besonders berücksichtigt werden,
  7. Eine Informationskampagne zu starten, in der über
    • das richtige Verhalten bei Begegnungen mit Wölfen,
    • den Schutz von Weidetieren vor Wölfen sowie
    • den Weg vom Riss bis zur Entschädigung,
      aufgeklärt wird und dabei die vorhandenen auch mehrsprachigen Materialien der Landwirtschaftskammer zu nutzen,
  8. zu untersuchen und festzustellen, welcher Herdenschutz in welchen Konstellationen tatsächlich, technisch und wirtschaftlich in seiner Durchführung begrenzt ist,
    • dabei insbesondere Grenzfälle wie den Schutz in Deichgebieten oder touristisch genutzten Regionen darzustellen, auch um auf diese Ergebnisse in Begründungen künftiger Entnahmegenehmigungen und Gerichtsverhandlungen zurückgreifen zu können,
    • die Ergebnisse dieser Untersuchung an die EU zu melden sowie
    • die Ergebnisse im „Merkblatt für die Errichtung eines Herdenschutzzauns für Schafe und Ziegen gemäß der Richtlinie Wolf“ der Landwirtschaftskammer sowie im „Niedersächsischen Wolfsmanagementplan – Grundsätze und Leitlinien im Umgang mit freilebenden Wölfen“ zu ergänzen.

Begründung

Der Wolf ist in Niedersachsen wieder heimisch geworden. Damit gehen erhebliche Konflikte zwischen den Interessen des Artenschutzes und der Weidetierhaltung einher. Es ist die Aufgabe der Politik, diese Interessen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen und dabei neben dem Artenschutz auch die Interessen der ländlichen Gebiete und der dort lebenden Menschen im Blick zu behalten.

Zu diesem Zweck ist es erforderlich, die Entwicklung der Wolfspopulation zuverlässig zu verfolgen und entstandene Schäden schnellstmöglich und unbürokratisch zu regulieren und dabei immer wieder die Ausrichtung der Förderung von Herdenschutzmaßnahmen und die Ausgestaltung der Billigkeitsleistungen an den tatsächlichen Bedarfen der Weidetierhalterinnen und -halter zu orientieren. Die administrativen Prozesse bieten - trotz einiger Verbesserungen in der jüngeren Vergangenheit - weiteres Optimierungspotenzial, um Betroffene noch schneller und unbürokratischer zu entschädigen. Ziel bleibt es, dafür Sorge zu tragen, dass das Wolfsmanagement weiter verbessert, der Herdenschutz gestärkt und Problemwölfe unbürokratischer entnommen werden können.

Vor allem aber ist es unabdingbar, im Rahmen der artenschutzrechtlichen Möglichkeiten ein regional differenziertes Wolfsmanagement zu etablieren, um in der dicht besiedelten Kultur- und Agrarlandschaft Niedersachsens ein möglichst gutes, vergleichsweise konfliktfreies Zusammenleben von Menschen im ländlichen Raum, Weidetieren sowie Wildtieren sicherzustellen. Dazu sind dort, wo es Bundesländerübergreifend ähnliche Anforderungen gibt, Grundlagen im gemeinsamen Praxisleitfaden Wolf von Bund und Ländern zu regeln, aber gleichzeitig auch den Ländern, in denen sich je nach biogeographischer Region ganz unterschiedliche Anforderungen an die Wolfspolitik stellen, ausreichend Spielräume zu lassen. Dies ist in weiten Teilen mit der aktuellen Anpassung erfolgt.

Das Wolfsmanagement in Niedersachsen muss im Einklang mit dem Rechtsregime der EU und des Bundes stehen, Wolfsabschüsse im Rahmen von Lizenzjagden mit festgelegten Quoten oder Abschusszahlen, wie sie beispielweise in Schweden oder Frankreich teilweise durchgeführt wurden, sind durch das EU-Recht nicht gedeckt, so laufen diesbezüglich Vertragsverletzungsverfahren bspw. gegen Schweden. Andere Abschüsse sind auf Listungen abweichend vom Anhang II und IV in der FFH-Richtlinie zurückzuführen. Diese wurden bei der Erstellung der Richtlinie oder im Rahmen der Beitrittsverhandlungen beispielsweise in Teilen Griechenlands und Spaniens, in denen bereits zu diesem Zeitpunkt ein günstiger Erhaltungszustand der Wolfspopulation festgestellt wurde, fixiert. In nördlichen Teilen Finnlands dürfte die Einstufung in Anhang V der FFH-Richtlinie auf den Erhalt der Rentierzucht als Wirtschaftsform einer indigenen Bevölkerung zurückzuführen sein. Aus dem Urteil des EuGH lässt sich folgern, dass ein günstiger Erhaltungszustand in der jeweiligen biogeographischen Region zwingende Voraussetzung wäre, um den Schutzstatus des Wolfs zu verändern. Für die Niedersachsen betreffende biogeographische „atlantische“ Region ist nach gemeinsamen Feststellungen von Bund und Ländern (mit Ausnahme Bayerns) ab 44 Rudeln oder Paaren die Untergrenze für den guten Erhaltungszustand bezogen auf den sogenannten Parameter Referenzpopulation bereits überschritten.

 Neben diesem Parameter wird im Rahmen der FFH Bewertung zudem auch die Ausbreitung in der Fläche berücksichtigt, auch hier ist der Referenzwert von 22.820 km2  für ein günstiges Verbreitungsgebiet bezogen auf die biogeographische „atlantische“ Region erfüllt. Die Referenzwerte beschreiben im Kontext der FFH-Berichterstattung, welches Verbreitungsgebiet und welche Populationsgröße in den einzelnen biogeographischen Regionen mindestens erforderlich sind, um langfristig das Überleben der Art zu sichern. Diese Feststellungen wurden an die EU-Kommission weitergegeben.

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