Antrag: Vielfalt säen, Sorten sichern – regionale Saatgutzucht stärken

Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90 Die Grünen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Neben Wasser und Boden stellt das Saatgut eine unentbehrliche Ressource für die Produktion von Lebensmitteln dar. Seit rund 12.000 Jahren arbeitet der Mensch kontinuierlich daran, Saatgut herzustellen und zu verbessern. Säen, ernten, erneut aussäen, und wieder ernten. Dabei nach Geschmack, Pflanzengesundheit, Haltbarkeit und anderen Kriterien selektieren. Diese Praxis – die Zucht von Saatgut – lag von jeher in bäuerlicher Hand.

Seit knapp 100 Jahren lässt sich ein Trend erkennen, dass Zucht und Anbau vermehrt voneinander separiert werden. Viele kleine, mittlere und große Zuchtunternehmen haben sich am Markt gebildet. Doch seit einigen Jahrzehnten homogenisiert sich dieser Markt zunehmend. In den 1980er Jahren kontrollierten die zehn größten Saatgut-Unternehmen noch unter 15% des weltweiten Saatgutmarktes, heute sind es bereits 70%.

Mit der hohen Konzentration des Saatgutmarktes erhöht sich die Abhängigkeit der Landwirtinnen und Landwirte von einigen wenigen Agrochemiekonzernen. Mit Hybridsorten und Patenten wird die Abhängigkeit zusätzlich erhöht. Gleichzeitig ist der Zugang zu Saatgut und dabei insbesondere das Recht, dieses aufzubewahren und zu verwenden, es aber auch untereinander zu tauschen und zu verkaufen, völkerrechtlich verankert. Diese Punkte finden sich unter anderem in Artikel 19 der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte von Kleinbauern und -bäuerinnen (UNDROP), dem Internationalen Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft der Welternährungsorganisation (ITPGRFA) sowie im Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD).

Vor allem die genetische Vielfalt von Pflanzensorten ist global gesehen mittlerweile gefährdet, weil regionale Sorten immer weiter vom Markt verschwinden. Ohnehin liefern nur drei Getreidearten – Reis, Mais und Weizen – weltweit die Hälfte aller pflanzlichen Kalorien. Laut Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organization, kurz: FAO) gingen im 20. Jahrhundert weltweit 75% der Kulturpflanzenvielfalt verloren. Dabei stellt die Agrobiodiversität eine wichtige Grundlage für die Boden- und Pflanzengesundheit dar. Ein resilientes Ernährungssystem ist vor dem Hintergrund der Klimakrise von entscheidender Bedeutung. Es ist festzustellen, dass vor allem kleine und mittlere Betriebe einen Beitrag zur Agrobiodiversität leisten.

Die EU-Kommission hat im Sommer 2023 einen neuerlichen Entwurf für eine EU-Saatgutverordnung vorgelegt. Kurz vor der Europawahl 2024 hat das EU-Parlament Verbesserungen gefordert, um bäuerlichen Rechte mehr Geltung zu Verschaffen und die landwirtschaftliche Vielfalt zu schützen. Aktuell wird das Thema noch von den EU-Agrarministerinnen und -ministern beraten, es ist jedoch davon auszugehen, dass die Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Kommission, Rat und Parlament noch im laufenden Jahr starten werden.

Der Landtag bittet die Landesregierung,

  1. zu prüfen, welche Veränderungen nötig sind, um On-Farm Züchtungen bzw. Vermehrung besser zu unterstützen,
  2. einen Ausbau der Beratungsangebote für Landwirtinnen und Landwirte zur Arbeit mit samenfestem, nachbaufähigem Saatgut sowie zur Züchtung und Vermehrung von eigenem Saatgut zu prüfen und dabei auch das Thema der Open-Source-Saatgut-Lizenz aufzugreifen,
  3. Überlegungen anzustellen, wie Züchtende sowie Saatgutvermehrerinnen und -vermehrer beim Erhalt von alten Nutzpflanzensorten, analog zu den bedrohten Nutztierrassen, unterstützt werden können,
  4. zu prüfen, inwiefern Genbanken, wie die von der Universität Osnabrück geleitete Genbank für Wildpflanzen für Ernährung und Landwirtschaft (WEL) oder andere Ex-situ Sammlungen in Niedersachsen zur Wahrung alter Pflanzensorten bzw. zur Einlagerung von Saatgut hochgradig gefährdeter Wildpflanzenarten für eine mögliche Erhaltungszucht, sowie zur Züchtung neuer, standortangepasster Sorten geeignet sind,
  5. sich im Zusammenhang mit der geplanten EU-Saatgutverordnung beim Bund mit Nachdruck für Regelungen einzusetzen, die den Erhalt und die Förderung der mittelständischen Züchter*innenstruktur sicherstellen, die Vielfalt der Saatgutsorten nicht in Frage stellen und den Zugriff auf gentechnikfreies Saatgut gewährleisten,
  6. ebenfalls beim Bund für klar definierte Ausnahmen vom Geltungsbereich der EU-Saatgutverordnung für nicht kommerzielle Aktivitäten, bspw. in Bezug auf (Eigen-)Saatgutvermehrung oder die Weitergabe von Edelreisern, einzutreten,
  7. sich für eine bundesweit einheitliche und transparente Kennzeichnung von Saatgut einzusetzen, die es Landwirtinnen und Landwirten, Züchtenden und Saatgutnutzenden über den bisherigen Rechtsrahmen hinaus ermöglicht, niedrigschwellig Informationen über Identität, Merkmale, Zuchttechniken und Exklusivrechte zu erhalten,
  8. sich auf allen Ebenen für das grundsätzlich im europäischen Patentrecht verankerte Verbot der Patentierung von Pflanzen und Tieren einzusetzen und entsprechende Umgehungstatbestände abzulehnen.

Begründung

Durch die Saatgutvermehrung auf dem eigenen Betrieb wird dieser unabhängiger von großen Zuchtkonzernen. Vor allem für kleine Betriebe mit vielfältigem Angebot kann dies eine gute Möglichkeit sein, resilienter zu wirtschaften.

Open Source Saatgut als Gemeingut ermöglicht es, sortenfeste Sorten frei zu züchten und selbstständig zu vermehren. Es ist frei von Patenten. Außerdem fördert es den Austausch und den Zugang zu Wissen und Erfahrung von anderen, was zu einer Weiterentwicklung und Verbesserung der Sorten führt. Open Source Saatgut kann die Unabhängigkeit von Landwirtinnen und Landwirten stärken und die genetische Vielfalt erhöhen. Regional angepasste Sorten können somit ebenfalls einfacher gezüchtet werden, da die großen Agrochemiekonzerne in erster Linie auf einheitliche Sorten spezialisiert sind.

Im Rahmen der Global Strategy for Plant Conservation, die auch von Deutschland ratifiziert wurde, traf man die Vereinbarung, mindestens 75% der gefährdeten Pflanzenarten in Ex-situ-Sammlungen zu sichern. Dieses Ziel wurde bereits für 2020 angestrebt. Jedoch ist es in Deutschland bislang nicht erreicht. Die EU-Saatgutvermarktungsvorschriften bedürfen grundsätzlich einer Reform, um der industriellen Pflanzenproduktion und -züchtung sowie der lokalen, bäuerlichen Züchtung Rechnung zu tragen. Der Anwendungsbereich der geplanten Verordnung sollte daher klar umgrenzt sein und kommerzielle Aktivitäten in den Blick nehmen. Der Verkauf von Saatgut für den Hobbygarten, Maßnahmen zur Erhaltung der biologischen Vielfalt sowie der Verkauf und Austausch von Saatgut durch Landwirtinnen und Landwirte sollte vom Geltungsbereich ausgeschlossen sein.

Darüber hinaus sollte die Zulassung der Vermarktung von Sorten und Populationen, die nicht den Anforderungen an Unterscheidbarkeit, Homogenität und Beständigkeit entsprechen, in einer einfachen und leicht zugänglichen Regelung für "diversity cultivars"/heterogenes Saatgut zusammengefasst werden. Die neuen Rechtsvorschriften könnten damit ökologische und „low-input“ Landwirtschaft unterstützen. Zudem wäre eine Anpassung der Saatgutverkehrsregeln an die verschiedenen nationalen und lokalen Saatguterzeugungskontexte wünschenswert, sodass die Mitgliedstaaten flexible Ausgestaltungsmöglichkeiten hätten.

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